Die Zeit der französischen Herrschaft

Französische Herrschaft auf dem heutigen Territorium von Rheinland-Pfalz

Frankreich eroberte 1794 im Rahmen der Revolutionskriege das linke Rheinufer. Unter Napoleon (1799-1814) beherrschte Frankreich indirekt auch die rechtsrheinischen Gebiete des heutigen Rheinland-Pfalz. Daraus ergaben sich radikale Veränderungen: Zunächst wurde das gewachsene Nebeneinander großer, mittlerer und kleiner Herrschaften durch eine einfachere und systematische politische Gliederung ersetzt: Nach einem Zwischenspiel kurzlebiger Besatzungsbehörden (Bestände 241,001-014 und G 1) wurde 1798 das linksrheinische Territorium des heutigen Rheinland-Pfalz Teil Frankreichs und blieb es bis 1814. Aus diesem Anlass fand 1798 seine Einteilung in drei Verwaltungsbezirke (Departements) statt: Das Rhein-Mosel-Departement (Bestand 256) mit der Hauptstadt Koblenz, das Saar-Departement (Bestände 276 und G 9) mit der Hauptstadt Trier und das Donnersberg-Departement (Bestände G 6, G 7 und G 11) mit der Hauptstadt Mainz. Kleinere Teile des heutigen Rheinland-Pfalz wurden früher eingerichteten Departements zugeschlagen, dem Wälder-Departement  mit der Hauptstadt Luxemburg (Bestand 300) im Norden und dem Departement Bas-Rhin („Niederrhein“) mit der Hauptstadt Straßburg im Süden (Bestand G 8). Den 1798 neu eingerichteten Departements übergeordnet war ein Generalkommissar (Bestände 241,015-021 und G 2), der in Mainz amtierte. Jedes Departement war ab 1800 einerseits in drei bis vier kleinere Verwaltungsbezirke (Arrondissements) eingeteilt und andererseits in ca. zehn Kantone. Die Kantone definierten den Zuständigkeitsbereich für die untersten Gerichte (Friedensgerichte), für die Aushebung von Wehrpflichtigen, sowie für die Pfarrer und Notare - letztere wurden links des Rheins nach dem Vorbild ihrer französischen Kollegen komplett neu organisiert (vgl. Bestände 587,001-059 und K1-65). Daneben bestand eine zentrale Forstverwaltung, welche die aus staatlicher wie aus gemeindlicher Sicht besonders wichtigen Ressourcen der Wälder verwaltete (Bestände 302,001 und G 12).

Ebenfalls 1800 wurde eine neue Gemeindeverfassung eingeführt: Künftig stand ein Bürgermeister (Maire) an der Spitze einer Bürgermeisterei (Mairie). Die geringe Größe vieler Gemeinden und die Schwierigkeit, geeignetes Personal zu finden, führten insbesondere im Norden dazu, dass mehrere Gemeinden zu einer gemeinsamen Bürgermeisterei zusammengefasst wurden. Die rheinland-pfälzischen Landesarchive verwahren eine reiche Überlieferung solcher Gemeindeverwaltungen (vgl. Bestände 612, 655,014, 655,024, 655,080 und U 298).

Die rechtsrheinischen Gebiete des heutigen Landes Rheinland-Pfalz gehörten ab 1803 weitestgehend zu den Fürstentümern Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg, aus denen 1806 das Herzogtum Nassau gebildet wurde (Bestände 332-333A und 342,003-004).

Auch die Organisation der Gerichte wurde im Linksrheinischen den französischen Verhältnissen angeglichen: Auf der Ebene der Kantone bestanden als unterste Gerichte Friedensgerichte für Zivil- und minder schwere Strafsachen. Darüber bestanden in den Arrondissements Tribunale erster Instanz für Zivil- und Strafsachen (vgl. Bestände 312,001-007, J 31-39, 51 und 56). Diesen übergeordnet waren - mit Zuständigkeit für ein ganzes Departement - Zivilgerichte zweiter Instanz, Kriminalgerichte (Bestand 316,003 und G 13) sowie Handels- und Zollgerichte. 1804 wurde mit dem französischen Code Civil in den linksrheinischen Gebieten ein Zivilrecht eingeführt, das dort bis 1900 gültig bleiben sollte. Grundlegende Unterschiede in Rechten und Pflichten, wie sie zuvor zwischen Adligen und Nichtadligen, Geistlichen und Nichtgeistlichen, freien und unfreien Bauern, Christen und Juden, Katholiken und Protestanten, Einwohnern von Stadt- und Landgemeinden einer-, Bürgern und bloßen Einwohnern von Städten andererseits geherrscht hatten, wurden durch die rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetz fast gänzlich aufgehoben.

Was mit der französischen Herrschaft nicht verschwand, war der Gegensatz zwischen arm und reich, der die neue Gesellschaftsordnung mehr denn je prägte: Mit der Gewalt eines Adligen oder eines Klosters über den Bauern war auch deren Verpflichtung zur Unterstützung z.B. bei Missernte oder Krankheit weggefallen. Die Abschaffung der Zünfte mit ihrer beschränkten Zahl von Zwangsmitgliedern ermöglichte es nun jedem, ein Handwerk seiner Wahl auszuüben - und setzte ihn der Konkurrenz und damit einem wesentlich höheren Risiko geschäftlichen Misserfolgs aus.

Viele alte Zollgrenzen fielen, aber entlang des Rheins entstand eine bedeutende neue Schranke für den Warenverkehr, deren negative Auswirkungen durch eine wirtschaftliche Benachteiligung gegenüber den alten französischen Departements verstärkt wurden. Die Einbindung der direkt und indirekt von Frankreich beherrschten Gebiete in Napoleons Wirtschaftskrieg gegen Großbritannien mit seinen drückenden Einfuhrverboten und die Ansprüche des fast permanenten Kriegszustandes an Landwirtschaft, Handwerk und Handel unterwarfen auch die Wirtschaft völlig neuen Rahmenbedingungen.

Eine wirksamere Staatsgewalt schützte den Bürger und diente ihm, zog ihn aber auch zum Kriegsdienst ein, falls er sich nicht davon freikaufen konnte. Und auch über Geburten, Eheschließungen und Todesfälle wollte der Staat nun eigene, in seinen Augen allein verbindliche Register führen:  1798 wurde in den linksrheinischen Departements die obligatorische Beurkundung des Zivilstands von staatlicher Seite eingeführt. Infolgedessen setzt mit diesem Jahr eine reiche Überlieferung von Personenstandsunterlagen in den rheinland-pfälzischen Landesarchiven ein.

Nicht zuletzt verschwanden in ganz Deutschland nicht nur die geistlichen Herrschaften, in denen z.B. Bischöfe und Äbte auch weltliche Macht ausgeübt hatten, sondern es wurden überhaupt im großen Maßstab Klöster und Kirchen aufgehoben und kirchliche Immobilien zu Gunsten weltlicher Besitzer enteignet. Das Ergebnis war nicht nur ein Verlust an Macht und Besitz für die Kirche, sondern auch eine Verweltlichung des Umfeldes, des Alltagslebens und der Sinnbezüge für die große Mehrheit der Bevölkerung.

Infolge der Zurückdrängung der Franzosen über den Rhein durch die antinapoleonische Koalition ersetzten ab Anfang 1814 provisorische Behörden der siegreichen Verbündeten (Bestände 349, 371 und G 21-26) die französische Verwaltung. Damit setzte eine zwei- bis dreijährige Übergangszeit ein, bevor die nach der Abdankung Napoleons auf dem Wiener Kongress 1815 beschlossene Neuverteilung der Territorien des heutigen Rheinland-Pfalz durchgeführt war.

 

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