Der 30. Juli 1874. Auswanderung nach Amerika
Am 29. Juli 1874 erhielt der Landarbeiter Friedrich Ebert aus Meddersheim im Kreis Meisenheim die Entlassungsurkunde aus der preußischen Staatsangehörigkeit und damit die behördliche Erlaubnis, nach Amerika auszuwandern. Er war einer von mehr als vier Millionen Menschen, die allein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr Glück in den USA suchten und sich damit auf eine lange, beschwerliche Reise begaben, deren glücklicher Ausgang keineswegs gewährleistet war.
Deutschland war für Jahrhunderte ein typisches Auswanderungsland. Aber nur wenige Regionen in Deutschland haben in ihrer neuzeitlichen Bevölkerungsgeschichte vergleichbar große Wanderungsbewegungen erlebt, wie die Gebiete zu beiden Seiten des Ober- und Mittelrheins. Hier setzte im 19. Jahrhundert eine regelrechte Auswanderungsflut ein. Von den insgesamt 6,9 Millionen deutschen Einwanderern in die USA traten allein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vier Millionen Menschen die Reise in eine ungewisse Zukunft an. Die Gründe für das Verlassen der Heimat sind sehr vielfältig. Natürlich war die Auswanderung ein deutlichen Zeichen der Unzufriedenheit mit den Lebensumständen, wobei vor allem die wirtschaftliche Situation auschlaggebend gewesen ist. Missernten mit den daraus resultierenden Hungersnöten und Preissteigerungen, eine starke Bevölkerungszunahme und die damit im Zusammenhang stehende Arbeitslosigkeit werden immer wieder als Gründe genannt. Auch der Versuch, sich der Militärpflicht zu entziehen, religiöser und politischer Druck und nicht zuletzt Abenteuerlust spielten eine Rolle.
Dem Territorialherren bzw. dem Staat gingen durch die Auswanderung wichtige Arbeitskräfte verloren. Es lag daher im Interesse der Obrigkeit, das Verlassen der Heimat genehmigungspflichtig zu machen. Ohne einen formellen Antrag, der von der zuständigen Behörde genehmigt sein musste, war eine Auswanderung nicht möglich. Darüber hinaus war vor der Abreise das sogenannte Abzugsgeld zu zahlen, den zehnten Teil des jeweiligen Besitzes.
Eine solche Genehmigung bzw. eine Entlassungsurkunde aus der preußischen Staatsangehörigkeit erhielt der 23-jährige Landarbeiter Friedrich Ebert am 29. Juli 1874 von der Bezirksregierung Koblenz. Ob sich der junge Mann tatsächlich auf die Reise gemacht hat und wie sein weiteres Schicksal in der neuen Welt verlaufen ist, geht aus den Akten nicht hervor. Es ist aber wahrscheinlich, dass er die strapaziöse und gefährliche Reise in eine neue Heimat angetreten ist.
Das Schicksal der Auswanderer auf ihrer Reise war häufig sehr hart. Für die Organisation der Reise boten zahlreiche Agenturen ihre Dienste an. Vielfach wurden Auswanderungswillige von diesen Einrichtungen mit falschen Versprechungen angelockt und um ihren Besitz betrogen. Aber auch die Reise selbst brachte viele Gefahren mit sich. Erst die zunehmende Umstellung des Atlantikverkehrs auf Dampfer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die damit verbundene Verkürzung der Reisedauer verbesserten die Bedingungen. Während die Atlantiküberquerung vorher ca. sieben Wochen gedauert hatte, war sie mit den Dampfschiffen unter günstigen Voraussetzungen in drei bis vier4 Wochen zu schaffen. Die Schiffe waren allerdings in der Regel völlig überladen, so dass die Passagiere kaum über Bewegungsfreiheit verfügten.
Die Seeleute sahen die Passagiere oft nur als Fracht an und behandelten sie dementsprechend. Die Ernährung, für die die Auswanderer natürlich zu bezahlen hatten, war eintönig und wurde je länger die Reise dauerte immer schlechter. Obwohl sich die Lebensbedingungen auf den Schiffen durch die Verkürzung der Reisezeit deutlich verbesserten, lag die Sterblichkeitsrate im 19. Jahrhundert immer noch bei ca. 3 %.
Um gewährleisten zu können, dass die Auswanderer nach ihrer glücklichen Ankunft in Amerika vor Betrügereien und Ausplünderungen sicher waren, gründeten sich Vereine zum Schutz deutscher Auswanderer. Aber trotz der zunehmenden behördlichen Kontrolle und der vielfach verbesserten Voraussetzungen erfüllten sich die Hoffnungen der Auswanderer nicht immer, so dass nicht nur begeisterte Berichte von dem neuen Leben den Weg nach Deutschland fanden, sondern auch enttäuschte Rückkehrer.
Quellen
- LHA Koblenz, Bestand 403, Nr. 7184. Acta des rheinischen Oberpräsidiums betreffend Verleitungen zur Auswanderung sowie die Überwachung der Auswanderungen seitens der Regierung
- LHA Koblenz, Bestand 441, Nr. 23488. Acta betreffend Auswanderungen nach Amerika aus dem Kreise Coblenz
- LHA Koblenz, Bestand 441, Nr. 24201. Acta betreffend die Auswanderung nach Amerika aus dem Kreise Meisenheim
- Auswanderung. Texte zur Landesgeschichte, Bd. 2. Zusammengestellt von P. Brommer. Hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 1976
- Inventar des Bestandes Oberpräsidium der Rheinprovinz, Teil 1 und 2. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 403. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 71. Hg. von H.-G. Borck unter Mitarbeit von Dieter Kerber, Koblenz 1996
- Inventar der Quellen zur Geschichte der Auswanderung 1500 - 1914 in den staatlichen Archiven von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, bearbeitet von P. Brommer, K. H. Debus und H.-W. Herrmann. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 27, Koblenz 1976
Literatur
- Dreihundert Jahre Auswanderung von Rheinland-Pfalz nach Amerika. Festakt der Landesregierung. Hambacher Schloß 9. September 1983. Hg. Pressestelle der Staatskanzlei, Mainz 1983
- Dreihundert Jahre deutsche Auswanderung in die USA. Dokumentation der Veranstaltung des Staatlichen Instituts für Lehrerfort- und -weiterbildung 10690 am 23.09. 1983 in Mainz. Studienmaterial, Bd. 63, Speyer 1984
- H. Fenske: Die deutsche Auswanderung, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Bd. 76, Speyer 1978, S. 183 - 220
- S. Faltin: Die pfälzischen Auswanderer, in: Vor-Zeiten. Geschichte in Rheinland-Pfalz. Hg. v. D. Lau und F.-J. Heyen, Bd. 5, Mainz 1989, S. 181 - 200
- Ch. Pfister: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1500 - 1800. Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 28. Hg. v. L. Gall, München 1994