Der 24. November 1948. Die Kartoffelrazzia und ihre Folgen
Am 24. November 1948 wurde der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses über die "Kartoffelrazzia" im November 1947 dem Landtag vorgelegt. Dieser Ausschuss war im Dezember 1947 eingesetzt worden, um die heftigen Vorwürfe und Beschwerden im Zusammenhang mit der von der französischen Militärregierung durchgeführten Durchsuchungsaktion zahlreicher Dörfer zu überprüfen. Hintergrund dieser Razzia waren die durch die Missernte des Jahres 1947 lebensbedrohlich verschärfte Ernährungsnotlage und die unterschiedlichen Berechnungen der Militär- und der Landesregierung in Bezug auf die zu erwartende Kartoffelmenge. Sehr deutlich trat in diesen Auseinandersetzungen der sich vertiefende Gegensatz zwischen Stadt und Land, zwischen Verbrauchern und Erzeugern zu Tage.
Der Sommer des Jahres 1947 war der heißeste und trockenste seit 1921, was verheerende Auswirkungen auf die Ernte hatte. Die landwirtschaftlichen Erträge in diesem zweiten Nachkriegsjahr waren die niedrigsten des gesamten Jahrhunderts. Vor allem den spät reifenden Früchten fügte die Dürreperiode der Monate Juli bis September schwere Schäden zu. Die Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln wurde zu einem überlebenswichtigen Problem. "Die Zeitgenossen sprachen von einer "Kartoffelschlacht". Auf dem Schwarzen Markt wurde damals der Rekordpreis von 8,- RM für 1 kg Kartoffeln gezahlt, das war das 40-fache des offiziellen Preises und entsprach dem Tageslohn eines Arbeiters." Eine Verschärfung des Verteilungskampfes war unabwendbar und zeigte schnell seine ersten Auswirkungen.
Um angesichts dieser akuten Notsituation, den Umfang der zu erwartenden Kartoffelernte möglichst frühzeitig ermitteln zu können, führte die Landesregierung 3.000 Proberodungen durch und ermittelte aus den Ergebnissen der schlechten, mittleren und guten Äcker einen Durchschnittswert, der als Grundlage für die Errechnung der Kartoffelrationen verwendet wurde. Dieser ermittelte Ernteertrag von 565.000 t erschien der Militärregierung als zu niedrig, so dass sie ebenfalls Proberodungen durchführte und für die Ergebnisse nur die Erträge der besten Felder zugrunde legte, was zu einem Mehrertrag von durchschnittlich 25 % führte, der faktisch nicht der Realität entsprach. Zahlreiche Landräte und Bürgermeister machten auf diese Diskrepanz und die sich daraus ergebenen Probleme im Hinblick auf die Sollerfüllung bei den Kartoffellieferungen aufmerksam, was allerdings keine praktische Wirkung hatte. Die Landesregierung hatte diese höheren Ablieferungsvorgaben zu übernehmen und auf dieser Grundlage die Verteilung in die Städte zu organisieren, was allein schon aufgrund völlig unzureichender Transportmöglichkeiten problematisch war.
Die allgemeine Kritik bewirkte aber, dass die Militärregierung versuchte, die Richtigkeit ihrer Berechnungen durch eine Großrazzia zu beweisen und gleichzeitig "die schleppende Kartoffelerfassung zu beschleunigen." Anfang November wurden besonders in der Pfalz und in Rheinhessen ausgewählte Gemeinden, die bereits im vergangenen Jahr mit ihren Erträgen unter dem Landesdurchschnitt gelegen hatten, "untersucht". Mit Unterstützung durch 8.000 deutsche Polizisten allein in der Pfalz und Beamte der Bezirksernährungsämter wurden mehr als 40 Dörfer oft völlig überraschend vollständig umstellt und von der Außenwelt abgeschnitten. Die Höfe wurden vom Keller bis zum Dach systematisch durchsucht und teilweise massiv in die Privatsphäre der durch die Aktion natürlich beunruhigten und aufgebrachten Bauern eingegriffen. In den meisten Fällen wurden die Dorfbürgermeister von den französischen Offizieren in persönliche Haftung genommen und hatten sich schriftlich zur Erfüllung der Auflagen zu verpflichten. Dabei war es gleichgültig, ob die geforderte Menge tatsächlich existierte oder nicht. Widerstand und Diskussionen wurden nicht nur mit Beschlagnahmungen, sondern auch mit Verhaftungen beantwortet. Eine nicht geringe Anzahl pfälzischer Dorfbürgermeister wurde in das Internierungslager Landau gebracht.
Diese Vorgehensweise der Militärregierung rief nicht nur bei den betroffenen Bauern selbst Empörung und heftige Beschwerden hervor, auch die intensive und nicht immer objektive Presseberichterstattung bewirkte eine weitere Polarisierung in dieser Frage. Besonders heftig gestaltete sich allerdings die Debatte im Landtag, die am 3. Dezember stattfand. Die Landesregierung und insbesondere Innenminister Steffan sahen sich heftiger Kritik ausgesetzt, die berichtende Rheinzeitung schrieb sogar von einer "innenpolitischen Krise". Die Abgeordneten der ländlichen Regionen aller Parteien berichteten mit entsprechender Empörung von den Übergriffen, die auch vor Hausfriedensbruch, Raub, persönlicher Bereicherung und schwerer Sachbeschädigung nicht Halt gemacht hatten. Ein Abgeordneter beschrieb eine Kontrolle im Kreis Bingen, wo die Menschen das Gefühl gehabt hätten "sich im Kriegszustand" zu befinden und nicht gewagt hätten, gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe Einspruch einzulegen. "Die Durchsuchung der Wohnungen, Schränke usw. durch die kontrollierenden Beamten auch dort, wo die Bauern ihr Ablieferungspflicht erfüllt haben, das bleibt unverständlich. Zum besseren Verständnis der Kontrolle trägt es aber auch nicht bei, wenn man die Forderung erhoben hat, aus dem Gemeindehaus einer rhein-hessischen Gemeinde die Gedenktafel für die im Weltkrieg 1914 - 18 Gefallenen zu entfernen. Wenn der Bürgermeister einer rhein-hessischen Gemeinde berichtet, daß man kranke Leute zum Verlassen der Betten aufgefordert hat, um die Betten untersuchen zu lassen...."
Zahlreiche weitere Abgeordnete unterstrichen diese Angaben mit ähnlichen Schilderungen aus anderen Dörfern. Vergleiche mit dem Dritten Reich wurden herangezogen und von Gestapo-Methoden gesprochen. Spätestens in dieser Debatte wurde deutlich, wie sehr die akute Ernährungskrise die "Kluft zwischen Stadt und Land", zwischen Bauern und Verbrauchern vergrößerte. Der Hunger schuf seine eigenen Feindbilder. Eindringlich machten die ländlichen Abgeordneten auch darauf aufmerksam, dass angesichts dieses Vorgehens auch die kommende Ernte in Gefahr geraten könne. Bei den Kontrollen habe man nicht nur häufig die Kartoffeln beschlagnahmt, die die Bauern für ihren Eigenbedarf benötigten, sondern auch die lebensnotwendigen Saatkartoffeln. Ohne ausreichende Saatkartoffeln sei keine neue Ernte möglich, die die Missernte des Jahres 1947 ausgleichen könnte. Hinzu käme die Verärgerung vieler Bauern, dass sie mit den Bauern, die mit ihren Schieber- und Schwarzmarktgeschäften tatsächlich zur Verschlechterung der Versorgungslage beitrugen, gleichgesetzt würden. "Stadt und Land sind in großer Unruhe. Auf der einen Seite Hunger und betrübliche Aussichten, auf der anderen Seite Enttäuschung, Verärgerung und Haß." Eine "Kollektivschuld" der dörflichen Bevölkerung wurde entschieden abgelehnt und darauf hingewiesen, dass die enttäuschten Bauern versuchen würden, in Zukunft nur noch das anzupflanzen, was sie für ihren Eigenbedarf benötigten.
Wichtigstes Ergebnis dieser sehr lebhaften Debatte war die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der fast ein ganzes Jahr benötigte, um den zahlreichen Vorwürfen in Bezug auf die "Kartoffelrazzia" nachzugehen. Am 24. November 1948, nachdem die akute Ernährungsnotlage durch Lebensmittelimporte und eine deutlich bessere Ernte abgemildert werden konnte, legte der CDU Abgeordnete Dr. Ritterspacher den Abschlussbericht des Ausschusses im Landtag vor. Es wurde bestätigt, dass es tatsächlich zahlreiche Übergriffe gegeben habe, andererseits seien aber auch sehr viele nicht abgelieferte Kartoffeln und andere Lebensmittel gefunden worden. "Die ersten Meldungen erwiesen sich im nachhinein meist als übertrieben und emotional aufgebauscht." Als besonders auffallend wurde allerdings der "allgemeine Übereifer von Prüfern und Polizisten" bezeichnet, der sich aus der katastrophalen Ernährungslage des vergangenen Jahres ergeben habe. Obwohl die Diskussion um die "Kartoffelrazzia" und ihre Folgen im Landtag damit beendet war, blieben die Gegensätze zwischen Stadt und Land und das Misstrauen der Bauern noch lange bestehen.
Quellen
- LHAKo Bestand 860, Nr. 1007 Schriftwechsel zwischen Ministerpräsident Altmeier und der Militärregierung 1947
- LHAKo Bestand 940, Nr. 96 Schriftverkehr betr. Kartoffelversorgung 1947 - 49
- LHAKo Bestand 940, Nr. 691 Landwirtschaftliche Erzeugnisse, Kartoffelerfassung 1947 - 1949
- Stenographische Berichte Landtag Rheinland-Pfalz. 1. Wahlperiode, 1947
- Stenographische Berichte Landtag Rheinland-Pfalz. 1. Wahlperiode, 1948
Literatur
- H. Küppers: Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946 - 1955; Mainz 1990 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 14)
- K.-H. Rothenberger: Die Hungerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Ernährungs- und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz 1945 - 1950, Boppard 1980 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 3)
- H.-G. Borck: Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Koblenz 1997 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 73)