Der 22. Februar 1902. Geburt des Chemikers Fritz Straßmann
Der am 22. Februar 1902 in Boppard geborene Chemiker Fritz Straßmann war gemeinsam mit Lise Meitner und Otto Hahn maßgeblich an der Entdeckung der Kernspaltung im Jahre 1938 beteiligt. Neben seiner Mitwirkung an dieser bahnbrechenden Entdeckung und seiner vielfältigen wissenschaftlichen Arbeit ist vor allem der Anteil Straßmanns an dem Aufbau der Universität Mainz und hier besonders an dem chemischen Institut zu betonen. Während Otto Hahn als einziger des Teams mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist Straßmann eine angemessene Anerkennung seiner Arbeit aber weitgehend versagt geblieben, so dass die Bedeutung seiner wissenschaftlichen und lehrenden Tätigkeit in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.
"Ach! Ich dachte schon, den Straßmann gibt\'s gar nicht!" Mit diesen Worten wurde Fritz Straßmann im Jahre 1960 bei einem Besuch in Kopenhagen von dem Nobelpreisträger Niels Bohr begrüßt. Welchen bedeutenden Anteil Straßmann gemeinsam mit Otto Hahn und Lise Meitner an der Entdeckung der Kernspaltung gehabt hat, war unter Fachleuten natürlich bekannt, in der Öffentlichkeit stand er allerdings immer im Hintergrund, im "Schatten der Sensation". Straßmann hatte, wie es auch seinem zurückhaltenden und bescheidenen Naturell sowie seiner Scheu vor der Öffentlichkeit entsprach, nie seinen nicht unerheblichen Beitrag zu dieser bahnbrechenden Entdeckung betont oder herausgestellt und ist dementsprechend nur wenig bekannt.
Am 22. Februar 1902 wurde Fritz Straßmann als letztes von neun Kindern des Gerichtsbeamten Richard Straßmann und seiner Frau Julie in Boppard geboren. Durch die Versetzung des Vaters wuchs Fritz in Düsseldorf auf und legte hier im Jahre 1920 das Abitur an der Oberrealschule ab. Im gleichen Jahr begann er mit dem Studium der Chemie an der Technischen Hochschule in Hannover. Das Studium dieses Faches, das ihn bereits an der Schule "fasziniert hatte", schloss Straßmann im Jahre 1929 mit der Promotion ab. Noch im gleichen Jahr ging der junge Chemiker als Stipendiat der "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" zu Otto Hahn an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin. Hier wurden ihm Versuche über chemische Probleme mit radioaktiven Isotopen übertragen, bei denen sich Straßmann sehr schnell den Ruf eines hervorragenden Analytikers erwerben konnte. Nachdem das Stipendium 1932 auslief, arbeitete er unbezahlt am Institut weiter und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Privatstunden für Studenten und Examenskandidaten. Ein auch finanziell reizvolles Angebot der Privatwirtschaft lehnt er 1934 ab, weil er in eine nationalsozialistische Organisation hätte eintreten müssen. Aus dem gleichen Grund trat er ebenfalls 1934 aus dem Berufsverband der Chemiker aus, dessen angepasste politische Ausrichtung Straßmann missbilligte. Seine offensichtliche distanzierte und ablehnende Haltung gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern machte eine Habilitation unmöglich.
Nachdem Straßmann seit 1934 von Otto Hahn und Lise Meitner, der Leiterin der Physikalischen Abteilung des Instituts, zu Versuchen über den Atomkern hinzugezogen worden war, erhielt er 1935 eine Assistentenstelle am Kaiser-Wilhelm-Institut. Nach ersten Erfolgen des Forscherteams musste die österreichische Jüdin Lise Meitner 1938 aus Deutschland fliehen, als sie durch den Anschluss Österreichs unter die Rassengesetze des Dritten Reiches fiel. Aber auch von Stockholm aus hielt sie den Austausch mit Hahn und Straßmann brieflich aufrecht. Zu der endgültigen Entdeckung der Kernspaltung kam es durch den sogenannten Indikatorversuch, der von Straßmann und Hahn am 17. Dezember 1938 durchgeführt wurde. Die "seltsamen Resultate" wurden mit Lise Meitner und anderen Fachkollegen diskutiert, in einer ersten Veröffentlichung formulierte Hahn sehr vorsichtig. Erst nach weiteren vier Wochen chemischer Experimente war sich das Team sicher, die Spaltung eines Atomkerns herbeigeführt und entdeckt zu haben. "Die Entdeckung der Kernspaltung ist ein Ereignis historischer Dimension, und das nicht nur in einer Hinsicht." Entsprechend der politischen Stimmung in der Zeit, in der diese Entdeckung gemacht wurde, bekamen allerdings ihre militärischen Aspekte sehr schnell Vorrang. Fritz Straßmann schrieb dies der "unheilvollen Fähigkeit" der Menschen zu, "die in jedem technischen Fortschritt liegenden Möglichkeiten eines Missbrauchs schneller und gründlicher auszunutzen als die segensreichen." Der Wettstreit um den Bau der Atombombe begann. Straßmann war an diesen Arbeiten nicht beteiligt. Seine Weiterarbeit an den Spaltprodukten des Atomkerns wurde auch durch die Evakuierung des Kaiser-Wilhelm-Instituts im Sommer 1944 nach Tailfingen/Württemberg und durch den Einmarsch der Amerikaner und später der Franzosen kaum unterbrochen.
Im Frühjahr 1946 entschloss sich die französische Militärregierung nach 140 Jahren in Mainz wieder eine Universität einzurichten. Im Jahre 1798 war die über 300-jährige Tradition als Universitätsstadt mit dem Einzug der französischen Revolutionstruppen erloschen. Aufgrund seines hohen wissenschaftlichen Ansehens erhielt Straßmann 1946 eine Professur und die Direktion für das Institut für anorganische Chemie, obwohl er über keine Erfahrungen als akademischer Lehrer oder Institutsleiter verfügte. Zuvor hatte er bereits die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie übernommen. Trotz Chemikalienmangels und der unzureichenden Unterbringung der Labors in Garagen zeigten sich dank seiner Improvisationsgabe sehr schnell die ersten Erfolge und die Begeisterung der Studenten. Auch die Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft fand als Max-Planck-Gesellschaft 1950 ihr neues Zuhause auf dem Gelände der Universität. Im gleichen Jahr trat Straßmann als zweiter Direktor der Gesellschaft zurück und widmete sich vollständig seinen Aufgaben an der Universität, die 1967 mit der Inbetriebnahme eines Forschungsreaktors gipfelte.
Seine Leistung als Wissenschaftler und Lehrer ist 1966 gemeinsam mit Hahn und Meitner mit dem bedeutenden Enrico-Fermi-Preis der US Atomic Energy Commission ausgezeichnet worden. Im Jahre 1972 wurde Fritz Straßmann Ehrenbürger der Stadt Mainz. 1985 wurde er posthum als "Gerechter der Völker" geehrt, weil er 1943 in seiner Wohnung in Berlin eine ihm kaum bekannte Jüdin für zwei Monate versteckte, die so überleben konnte.
Straßmann erlitt 1974 zwei Schlaganfälle, wodurch "ein stetiger Abstieg seiner körperlichen und geistigen Kräfte" begann. Am 22. April 1980 starb er in Mainz. Aus Anlass seines 100. Geburtstages erscheint in der Veröffentlichungsreihe des Landeshauptarchivs Koblenz ein Inventar über den Nachlass Straßmanns. Außerdem wird auf Initiative der Gesellschaft Deutscher Chemiker am Mainzer Institut für Kernchemie eine Tafel enthüllt, die an das Berliner Team Meitner, Hahn und Straßmann erinnert.
Quellen
- LHAKo Bestand 700,220. Nachlass Fritz Straßmann
Literatur
- F. Krafft: Im Schatten der Sensation. Leben und Wirken von Fritz Straßmann, Weinheim u. a. 1981
- J. Lemmerich: Fritz Straßmann (1902 -1980), in: Rheinische Lebensbilder 15, Köln 1995, S. 247 - 266
- Fritz Straßmann (1902 - 1980). Mitentdecker der Kernspaltung. Inventar des Nachlasses. Kommentierung der Versuche zur Kernspaltung. Bearb. v. P. Brommer und G. Herrmann (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, hg. v. H.-G. Borck, Bd. 95), Koblenz 2002