Der 16. November 1947. Hunger und Schulspeisung. Humanitäre Hilfe aus dem Ausland
Am 16. November 1947 bedankten sich die Schülerinnen der Klasse 2b der Oberrealschule Pirmasens für die durch amerikanische Lebensmittelspenden ermöglichte regelmäßige Schulspeisung. Die Ernährungsnotlage nach dem Zweiten Weltkrieg hatte auch in Rheinland- Pfalz im Winter 1946/47 einen Höhepunkt erreicht. Hunger und Kälte bestimmten den Alltag der Menschen. Auch in den folgenden Monaten entspannte sich die Lage aufgrund ungünstiger Klimaeinflüsse und Missernten nicht. In dieser Situation waren die umfangreichen "Hilfen von auswärts" eine lebensnotwendige Unterstützung und Entlastung, die mit viel Dankbarkeit angenommen wurde.
"Die Normalverbraucherrationen des Frühjahrs 1947 sind so niedrig, daß sie nur ein Drittel des Bedarfs decken und in der Zeit von einigen Monaten zum Tode führen würden. Nur mit äußersten Anstrengungen und unter Einsatz aller Ersparnisse aus früheren Jahren, oft unter Preisgabe des mühsam geretteten Restes beweglicher Habe, unter Mißachtung von Gesetzen und behördlichen Bestimmungen sind die auf diese Rationen angewiesenen Menschen in der Lage, ihre Ernährung auf ein Niveau zu heben, das sie eben an der Grenze schwerer klinischer Unterernährungserscheinungen hält. ... Die Nahrungsmittel werden zum größten Teil durch Fahrten über Hunderte von Kilometern unter schwierigsten Beförderungsbedingungen und den größten körperlichen Anstrengungen erworben, wobei diese Fahrten nicht selten die Form von Bettel- oder gar Raubzügen annehmen. Dabei ist der Erfolg relativ zu den Aufwendungen oft erschreckend gering. Nur zum kleinen Teil entstammen die Nahrungsmittel dem eigentlichen Schwarzen Markt, dessen Preise so hoch sind, daß sie fast nur von denen aufgebracht werden können, die selbst im Schwarzhandel verdienen." Diese Denkschrift des Ernährungsrates der deutschen Ärzte vom 15. Juni 1947 vermittelt einen Eindruck von den Lebensverhältnissen, wie sie auch in dem Gebiet des Bundeslandes Rheinland-Pfalz alltäglich waren.
Bereits im Winter 1946/47, der zu den härtesten des Jahrhunderts zu zählen war, zeichnete sich in Rheinland-Pfalz eine akute Versorgungskrise ab. Zwar besserte sich die Ernährungssituation im März kurzfristig wieder etwas, aber bereits im Frühsommer 1947 standen kaum noch Vorräte zur Verfügung. Wie die Landesregierung bereits im Mai feststellte, erreichte die Versorgungslage in den Städten einen noch nie verzeichneten Tiefststand. Regierung und politische Mandatsträger wurden immer mehr mit massiven Protestschreiben überhäuft. Im August kam es in Ludwigshafen, Mainz und Kaiserslautern zu Unruhen und Streiks, denen eine ausführliche Debatte über die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik im Landtag folgte. Aber auch hier wurde deutlich, dass mit einer Steigerung der Produktivität kurz- und mittelfristig nicht zu rechnen war. Ohne die "Hilfe von auswärts" war mit einer lebensnotwendige Verbesserung der Ernährungslage nicht zu rechnen. In dieser Situation erhielt die humanitäre Hilfe aus dem Ausland eine besondere Bedeutung. Aus fast 20 Ländern trafen in Deutschland nach Kriegsende Lebensmittel- und Kleiderspenden ein und machten den schweren, von Hunger geprägten Alltag ein wenig erträglicher und ließen ein Stück Hoffnung zurück.
Neben alten Menschen hatten besonders die Kinder unter Hunger und Entbehrung zu leiden. Im Jahre 1946 verfügten beispielsweise in Trier nur 20 % der Kinder über einen normalen Gesundheitszustand. Ein Schulleiter aus Kirn berichtete im Juli 1946 an das Oberpräsidium in Koblenz, dass der Ernährungszustand der Schüler "kein guter" sei. "Es ist deutlich zu beobachten, dass ihre Theilnahme und Aufmerksamkeit am Unterricht schon nach der dritten Unterrichtsstunde merklich nachlassen." Hier waren die Lebensmittelspenden aus dem Ausland, die auch für regelmäßige Schulspeisungen verwendet wurden, eine große Hilfe. Die ersten Spenden kamen bereits im Dezember 1945 aus Irland und wurden seit dem Frühjahr 1946 durch umfangreiche Lebensmittellieferungen aus der Schweiz ergänzt. Die aus der Schweiz stammenden Spenden wurden vornehmlich als Schulspeisungen an "bedürftige Kinder" verteilt. Die Kinder erhielten täglich eine Ration, bestehend aus Milch, Kakao, Keks und Brei.
Die Hilfslieferungen aus den USA, die seit 1947 für Schulspeisungen verwendet wurden, wurden hauptsächlich von amerikanischen Mennoniten, einer den Kalvinisten nahestehende Religionsgemeinschaft, durchgeführt. Das Mennonite Central Committee (MCC) hatte sein Hauptquartier in Neustadt. Die Verwaltung wurde hier mit eigenem Personal organisiert, während die Verteilung der Spenden durch das Evangelische Hilfswerk durchgeführt wurde. Dank dieser Hilfe konnten in Ludwigshafen 8.000 Schulkinder sechsmal in der Woche über einen längeren Zeitraum hinweg eine Mahlzeit mit 300 bis 500 Kalorien erhalten. Wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass die offiziellen Lebensmittelrationen im Jahre 1947 nur ein Drittel bzw. ein Viertel des Bedarf ausmachten, wird die Bedeutung dieser Spenden nicht nur für die Kinder, sondern auch für deren Familien deutlich, die durch diese Schulspeisung zumindest für die schulpflichtigen Kinder eine zusätzliche Nahrungsquelle erhielten.
Aber auch an Kleinkinder und schließlich auch an alte Menschen und Studenten gaben die Mennoniten ihre Nahrungsmittelspenden aus. In Neustadt erhielten Kleinkinder jede Woche Päckchen mit Lebens-mitteln und in Landau wurden sogar insgesamt 38 % der Bevölkerung mit dringend notwendigen zusätzlichen Kalorien versorgt. Es sind aber vor allem die damaligen Schulkinder noch sehr präsent. Zahlreiche im Landeshauptarchiv Koblenz vorhandene Fotos geben einen Eindruck von der Begeisterung mit der die Suppe aus mitgebrachten "Henkel-männern", verbeulten Töpfen, Tassen oder alten Milchkannen gelöffelt wurde. Dazu wurden "fettreich gebackene Rosinenbrötchen" ausge-geben, die bei den Kindern besonders beliebt waren. In den Beständen des Landeshauptarchivs Koblenz befindet sich ein Dankschreiben der Schülerinnen der Klasse 2b der Oberrealschule Pirmasens. Mit einer Zeichnung und einem Gedicht bedanken sich die Kinder für die Hilfe aus den USA. "Ihr Kinder kommt schneller mit Kännchen und Teller von U.S.A. die Suppe ist da. Und Brötchen so weiß so duftend und fein, drum laßt uns alle recht dankbar sein."
Quellen
- LHAKo Bestand 655,241, Nr. 334. Lebensmittelmarken
- LHAKo Bestand 710, Nr. 1270. Kinder- und Schulspeisung 1947
- LHAKo Bestand 710, Nr. 1272. Kinder- und Schulspeisung 1947
- LHAKo Bestand 710, Nr. 1280. Kinder- und Schulspeisung 1947
- LHAKo Bestand 714, Nr. 2340. Dankschreiben der Klasse 2b der Oberrealschule Pirmasens, 16. November 1947
- LHAKo 910, Nr. 1126. Kultusministerium Rheinland-Pfalz. Schulspeisungen 1946 - 1949
- LHAKo 940, Nr. 122. Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz, Ernährungssituation
- P. Altmeier. Reden 1946 - 1951. Hg. V. K. M. Graß und F.-J. Heyen. (Veröffentlichungen des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 2, Boppard 1979)
Literatur
- H. Mathy: 50 Jahre. Ein Querschnitt durch die Geschichte, in: Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Hg. von H.G. Borck unter Mitarbeit von D. Kerber. (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 73, S. 23 - 55)
- K.-H. Rothenberger: Die Hungerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Ernährung und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz 1945 - 1950. (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 3)
- K.-H. Rothenberger: Krieg-Hungerjahre-Wiederaufbau, in: Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945 - 1951. Hg. von F.J. Heyen. (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland- Pfalz, Bd. 5, Boppard 1984, S. 79 - 104)
- W. Stein: Hungerjahre, in: Zeugnisse rheinischer Geschichte. Urkunden, Akten, Bilder aus der Geschichte der Rheinlande. (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Neuss 1982, S. 280 - 282)