Der 9. Juli 1947. Rheinland-Pflaz ist Boden-los! Der Rücktritt des ersten Ministerpräsidenten
"Als ich am 13. Juni 1947 vom Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, habe ich am gleichen Tage zur sofortigen Herbeiführung eines verfassungsmäßigen Zustandes ein Übergangskabinett gebildet, in der sicheren Annahme, in spätestens 14 Tagen eine Regierung unter Zusammenfassung aller wiederaufbauwilligen Kräfte auf breitester Grundlage dem Hohen Hause vorstellen zu können.
Bei meinen sofort aufgenommenen Verhandlungen mit allen Parteien ging ich nach Lage der Dinge davon aus, dass die stärkste Partei den Ministerpräsidenten und den Innenminister und zwar möglichst in einer Person stellen soll. Das erwies sich jedoch nicht als durchführbar. Dagegen ergab sich die Möglichkeit - und das muß ich gegenüber anderslautenden Berichten der Presse ausdrücklich betonen -, schon vor Ablauf der vorgesehenen Frist eine Regierung aus CDU und DP zu bilden. Da ich aber auch hierfür schließlich nicht die erforderliche Unterstützung fand, habe ich die weiteren Verhandlungen wieder den Parteien überlassen und den mir verfassungsmäßigen Auftrag als erledigt betrachtet. Bei dem heutigen ersten Wiederzusammentritt des Landtags sehe ich mich daher veranlaßt, von meinem Amte als Ministerpräsident zurück zu treten und zugleich den Rücktritt des Regierungskabinetts zu erklären."
Das war ein Schock! Für viele Menschen in dem jungen Bundesland Rheinland-Pfalz völlig überraschend hatte der Ministerpräsident in der Landtagssitzung vom 9. Juli 1947 das Wort ergriffen und erklärte um 10:15 Uhr seinen Rücktritt. Rheinland-Pfalz war Boden-los! Was war geschehen? War dieser Rücktritt die Folge einer Intrige in der eigenen Partei?
Dr. Wilhelm Boden, 1955
(LHAKo Bestand 710, Nr. 4627)
Ebenso wie die Gründung des Landes durch die Verordnung Nr. 57 war auch die Bildung der ersten Regierung im November/Dezember 1946 durch die französische Besatzungsmacht erfolgt. Am 29. November hatte Generalgouverneur Hettier de Boislambert die Vorschläge der Parteienvertreter genehmigt, wonach sich die Regierung aus Vertretern der CDU, der SPD und der KPD zusammen setzte. Zum Ministerpräsidenten ernannte die Militärregierung den bisherigen Oberregierungspräsidenten Dr. Wilhelm Boden, "weil sie die administrative Kompetenz, Verbindlichkeit und vielleicht auch die politische Zurückhaltung dieses ausgewiesenen Verwaltungsfachmanns schätzte." (Rummel) Am 2. Dezember 1946 trat die Regierung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie sollte so lange im Amt bleiben, bis die Landesverfassung durch eine Volksabstimmung beschlossen worden sei. Nach der Volksabstimmung und den Wahlen zum ersten Landtag am 18. Mai 1947 kam es der CDU als stärkster Partei zu, den Ministerpräsidenten zu stellen, der eigentlich nur Wilhelm Boden heißen konnte. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt war Boden auch in seiner eigenen Partei nicht unumstritten. Seine mangelnde Verwurzelung im Parteiapparat der CDU hatte sich auch im Wahlkampf als problematisch erwiesen und ließ jetzt die Zweifel an seinen Führungsqualitäten erneut aufkommen. Die Verfassung sah allerdings nur eine vierwöchige Frist für die Regierungsbildung vor und eine Alternative zu Boden konnte so schnell nicht gefunden werden.
Dr. Wilhelm Boden erhält das Großkreuz des Vierdienstordens, 1960
(LHAKo Bestand 710, Nr. 3908)
Dementsprechend wurde der erste Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz am 13. Juni 1947 mit 54 - 38 Stimmen vom Landtag zum ersten parlamentarisch legitimierten Ministerpräsidenten des Landes gewählt. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Boden noch, bereits am Nachmittag ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mitteilen zu können, was sich aber sehr schnell als Irrtum heraus stellte. Aufgrund der Einsicht, dass mit einer sofortigen Einigung nicht zu rechnen sei, schlug Boden ein Übergangskabinett vor. In der Rhein-Zeitung vom 14. Juni hieß es: "Nach der Mittagspause nahm der Landtag eine Erklärung des Ministerpräsidenten Dr. Boden über die Bildung der Regierung entgegen. Der Ministerpräsident gab bekannt, dass eine alle Parteien befriedigende Lösung noch nicht gefunden sei. Da das Land aber eine vorläufige Regierung nicht entbehren könne, berufe er ein Übergangskabinett ... Die Abgeordneten Dr. Hoffmann (SPD) und Müller (KPD) erklärten, daß ihre Parteien dem Kabinett ihr Vertrauen nicht auszusprechen in der Lage seien. Sie seien aber zu weiteren Verhandlungen bereit. ... Die Abstimmung des Hauses ergab für das Übergangskabinett eine geringe Mehrheit, die sich aus den Abgeordneten der CDU und der Demokratischen Partei zusammensetzte. Das endgültige Kabinett soll auf Beschluß des Parlaments innerhalb von 14 Tagen gebildet werden."
Gruppenfoto der CDU-Fraktion, 1954
(LHAKo Bestand 710, Nr. 1038)
In den nächsten Tagen führte Boden intensive Gespräche mit allen Beteiligten. Seine Bemühungen, eine Einigung auf einem möglichst breiten Konsens zu finden, hatten allerdings auch in seiner eigenen Partei die Unterstützung längst verloren. "Seine Situation gleich der eines einsamen Feldherrn ohne Truppen, noch erschwert dadurch, dass er nicht einmal Mitglied des Landesvorstandes seiner Partei war und auch die Fraktionsspitze ihn im Stich ließ. Er war offenkundig zu schwach und taktisch zu ungeschickt, von seiner eigenen Partei hinter seinem Rücken geführte Verhandlungen zu verhindern." (Brommer) Bereits Ende Juni machte die Führung der CDU deutlich, dass niemand mehr an den Erfolg des Übergangskabinetts glaube. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde Peter Altmeier als neuer Ministerpräsident gehandelt und eine alternative Kabinettsliste diskutiert. Die Rhein-Zeitung berichtete am 28. Juni 1947 unter dem Titel "Ende der Regierungskrise": "Aus den letzten Besprechungen zwischen den Delegierten der Hauptparteien hat sich folgender Kompromiß ergeben: Dr. Boden wird das kommende Kabinett nicht mehr präsidieren: die CDU wird einen neuen Ministerpräsidenten nominieren. Eine Entscheidung hierüber ist zur Stunde noch nicht gefallen. Als Kandidaten werden mehrere führende Persönlichkeiten genannt, darunter Minister Junglas, Regierungspräsident Altmeier, Minister Dr. Süsterhenn, Dr. Zimmer und Dr. Haberer ... Die Frage, ob eine Allparteien- oder eine Zweierkoalition gebildet werden soll, dürfte keine besonderen Schwierigkeiten mehr verursachen. Auch hier werden jetzt nicht mehr Sonderwünsche im Vordergrund stehen, sondern lediglich Erwägungen sachlicher Art:"
Die Schlacht war geschlagen und für Wilhelm Boden verloren. Am 8. Juli blieb dem noch amtierenden Ministerpräsidenten keine andere Möglichkeit mehr, als vor der CDU- Fraktion sein Scheitern zu erklären. Sein Rücktritt einen Tag später machte den Weg frei für Peter Altmeier und den Generationenwechsel in der CDU.
Quellen
- LHAKo Bestand 663,2, Nr. 11 CDU-Landtagsfraktion, 1945-1947
- LHAKo Bestand 663,2, Nr. 807 CDU-Landtagsfraktion, 1945-1947
- LHAKo Bestand 700, 145, Nr. 524, 1 Sammlung von Zeitungsausschnitten
- LHAKo Bestand 700, 177, Nr. 831 Dr. Adolf Süsterhenn
- LHAKo Bestand 710, Nr. 3008 Dr. Wilhelm Boden erhält das Großkreuz des Verdienstordens, 1960
- LHAKo Bestand 710, Nr. 4627 Dr. Wilhelm Boden 1955
- LHAKo Bestand 710, Nr. 1038 Gruppenfoto der CDU-Fraktion, 1954
- LHAKo Bestand 860, Nr. 21 Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Büro der Beratenden Landesversammlung 1945-1947
- LHAKo Bestand 860, Nr. 1006 Schriftwechsel des Oberpräsidenten der Provinz Rheinland-Hessen-Nassau bzw. des Ministerpräsidenten mit der französischen Militärregierung
Literatur
- P. Brommer: Die rheinland-pfälzische Landesregierung unter Ministerpräsident Dr. Boden im Spiegel der Ministerratsprotokolle, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, hg. v. H.-G. Borck und H.-W. Herrmann, 20 Jhg, 1994, S. 485 - 561
- H. Küppers: Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946 - 1955. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte von Rheinland-Pfalz, 14), Mainz 1990
- H. Mathy: 50 Jahre. Ein Querschnitt durch die Geschichte, in: H.-G. Borck (Hg.): Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, 73, Koblenz 1997, S. 23 - 60
- W. Rummel (Bearb.): Die Protokolle des Ministerrats von Rheinland-Pfalz, Bd. 1, Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz. Sonderreihe Ministerratsprotokolle, Bd. 1, Koblenz 2007